Die Nachrichten berichten seit Monaten fast täglich von Krieg und Flüchtlingen. Es werden laufend höhere Zahlen genannt und immer radikalere politische Ansichten geäußert. Leicht kann man vergessen, dass es sich bei diesen Zahlen um Menschen und deren persönliche Schicksale handelt – ein Thema, dem sich die polnischen Entwickler 11 Bit Studios mit This War of Mine: The Little Ones widmen. Ein Videospiel als realistische Dokumentation des Alltags im Krieg – geht das überhaupt?
This War of Mine erschien ursprünglich Ende 2014 für PC/Mac und machte damals schon wegen seines Inhalts von sich reden. Als Videospieler entkommt man dem Thema Krieg nur schwer, übernimmt man doch in vielen Spielen die Rolle eines Soldaten, Geheimagenten, Söldners oder anderen kampferprobten Recken. This War of Mine näherte sich dem Thema von einer anderen, bisher weniger beleuchteten Seite, nämlich aus der Sicht von Zivilisten, die versuchen, die Wirren eines Kriegs zu überleben, dessen Ursprung so sehr im Unklaren bleibt wie sein Verlauf. Kürzlich wurde das Spiel unter dem Namen This War of Mine: The Little Ones für PS4 und Xbox One veröffentlicht und beinhaltet neben Erwachsenen nun auch Kinder, die es vor dem Krieg zu schützen gilt.
This War of Mine: The Little Ones wirft den Spieler ohne Erklärungen oder Tutorials ins Geschehen – einige Überlebende finden sich in einem halb zerstörten Haus wieder, das ihnen als Unterschlupf für die kommende Zeit dienen soll. Im Haus finden sich ein paar Materialien, mit denen sich grundlegende Dinge wie ein Bett oder ein kleines Heizgerät bauen lassen. Die Biografien der Überlebenden im Haus fallen spärlich aus, reichen aber, um eine gewisse Arbeitsaufteilung vornehmen zu können. Der ehemalige TV-Koch beispielsweise muss jetzt zwar mit schlechterem Arbeitsmaterial auskommen, wird aber für die Verpflegung der Bewohner sorgen können – sofern Lebensmittel vorhanden sind.
Verbrauchsgüter wie Lebensmittel oder wichtige Materialien zur Weiterentwicklung des Unterschlupfs können bei Plünderungen gefunden werden. Der ehemalige Feuerwehrmann mit dem stämmigen Körperbau wird also nachts zum Plündern eingeteilt, während die restlichen Bewohner schlafen oder Wache halten. Der Spieler steuert den Plünderer durch verlassene Häuser oder zerbombte Gebäude – immer auf der Suche nach den Materialien, die im Unterschlupf gerade am dringendsten benötigt werden. Einen Überfluss oder Vorrat an wichtigen Dingen anzuhäufen, scheint ohnehin unmöglich und so muss vor jeder geplanten Plünderung überlegt werden, was am dringendsten benötigt wird, um die Gruppe im Unterschlupf am Leben zu halten.
Kommt der Plünderer morgens in den Unterschlupf zurück, kann der Rest der Gruppe damit beginnen, die gefundenen Materialien zu verwerten. Lebensmittel werden gekocht, neue wichtige Gegenstände für den Unterschlupf, wie etwa eine Auffanganlage für Regenwasser müssen gebaut und verwundete oder kranke Gruppenmitglieder mit Medikamenten versorgt werden. Außerdem wäre es vielleicht sinnvoll, aus den gefundenen Materialien Waffen herzustellen, um den Unterschlupf effektiver verteidigen zu können oder um nachts für unangenehme Begegnungen mit anderen Plünderern besser gewappnet zu sein.
Neben den Tätigkeiten, die für den alltäglichen Ablauf im Unterschlupf nötig sind, stellt einen This War of Mine: The Little Ones immer wieder vor Entscheidungen, die unerwartet getroffen werden müssen. So kann plötzlich ein Bewohner der Stadt vor der Tür auftauchen und jemanden aus unserer Gruppe darum bitten, ihm beim Transport seines verletzten Bruders zu helfen. Glaubt man dem Mann oder handelt es sich eventuell um eine Falle? Hilft man ihm, fehlt eine Person, die nachts Wache halten könnte – denn wer plündert, kann natürlich auch selbst von anderen Überlebenden geplündert werden und sich schnell in einem leer geräumten Haus wiederfinden. Natürlich wäre es richtig zu helfen, aber ist es das Risiko wirklich wert?
This War of Mine: The Little Ones präsentiert sich optisch sehr schlicht, jedoch in perfektem Einklang mit den Geschehnissen, die sich am Bildschirm abspielen. Die blassen Farben passen zur traurigen Stimmung, die mit dem täglichen Überlebenskampf der Gruppe einher geht und die nüchterne Präsentation schwieriger Entscheidungen verdeutlicht beinahe grausam, wie sehr die Konflikte von Einzelnen im durch Krieg geschaffenen Sog der Vernichtung untergehen.
Genau in diesen moralischen Konflikten, die der Spieler mit sich selbst auszutragen hat, während er Entscheidungen für die Gruppe trifft, liegt auch die große Stärke und gleichzeitige Grausamkeit von This War of Mine: The Little Ones. Ist es in Ordnung, ein unbewaffnetes altes Ehepaar nachts in seinem Haus auszurauben, um so die dringend benötigten Medikamente für ein krankes Gruppenmitglied im Unterschlupf zu erhalten? Kann man eine Mutter mit Kind, die um Zuflucht in unserem Unterschlupf bittet, abweisen, weil bei der Aufnahme von zwei weiteren Hungrigen das Überleben der gesamten Gruppe ungewiss wäre? This War of Mine: The Little Ones stellt viele solcher Fragen, überlässt die Antwort aber immer dem Spieler, ohne mit einem erhobenen Zeigefinger auf diese Antworten zu zeigen.
Wie auch immer die Antworten auf diese Fragen aussehen mögen, schnell wird klar: Selbst wenn es gelingt, mit der eigenen Gruppe bis zum Ende des Kriegs zu überleben, wird sich das auf keinen Fall wie ein Happy End anfühlen – zu viele furchtbare Dinge mussten getan und zu viele moralisch verwerfliche Entscheidungen getroffen werden, um dieses Ende zu erreichen. Ein Ende, das den Spieler nicht stolz, sondern nachdenklich zurück lassen wird und ihm aufzeigt, wie dankbar man sein sollte, solche Dinge virtuell und nicht real erlebt zu haben. Wenn diese Erfahrung ausreicht, um bei der nächsten Nachrichtenmeldung daran zu denken, dass die eigenen Lebensumstände dem purem Glück geschuldet sind, zufällig in einer friedlichen Region dieser Welt geboren worden zu sein, hat This War of Mine: The Little Ones mehr erreicht, als man es Videospielen gemeinhin zutrauen würde. Eine Erfahrung, die man jedem Spieler nur ans Herz legen kann.
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